Symposium 02. April 2014


Thema: Unaufmerksam und abgelenkt hinter dem Lenkrad

(02. April 2014)


Veranstaltungsort: ORF – RadioKulturhaus

Download

Für unsere Mitglieder und Kongressteilnehmer senden wir gerne Unterlagen zu den Symposien zu: office@amko.at


Audiomitschnitt

Symposium April 2014


Gallerie
Referenten:

Hanno Miorini Mensch oder Maschine? Der Weg zum autonomen Fahren

Marie-Sophie Marcinek Technische Hilfsmittel im Straßenverkehr zur Hebung der Verkehrssicherheit

Martin Germ Rechtsgrundlagen für die Überwachung der Aufmerksamkeit durch die Polizei

Martin Hoffer Übermüdung, Ablenkung und Unaufmerksamkeit aus Sicht des Fahrzeuglenkers

Michael Kunze Epidemiologie und Sozialmedizin

Michael Gatscha Sehen – Blickzuwendung – Ablenkung

Peter Heilig Ablenkungen im Straßenverkehr – als Folge: „Black Holes“ in der Wahrnehmung

Wolfgang Staffen Ist unser Gehirn wirklich Multitaskingfähig?


Zum Thema:

Das Symposiumsthema ist brisant, wie zwei aktuelle Ereignisse zeigen:

Im Innkreisviertel kollidierte ein LKW mit einem Schulbus, wobei ein 12-jähriger Schüler tödlich verletzt wurde. Hauptursache des Unfalls war Ablenkung des LKW-Lenkers durch Handy-Läuten mit nachfolgender Beschäftigung des Fahrers mit dem Display. Durch das Wegblicken von der Fahrbahn kam es in der Folge zu einem Auffahrunfall.

In Köln erregte die Polizei internationales Interesse dadurch, dass sie nach Unfällen verstärkt Smartphones den Lenkern abnehmen wollte, um die entsprechenden Daten als Beweismaterial zu verwenden.

Die Ablenkung der Autofahrer wird sowohl in Österreich als auch in der gesamten EU ein zunehmend größeres Problem, wie Prof.Dr. Raimund Saam, Verkehrsmediziner der ÄKVÖ beim Symposium betont. Wer bei 50 Km/h nur zwei Sekunden von der Fahrbahn wegblickt, legt etwa 30 Meter im Blindflug zurück. Die Zahl der Unfälle aus ungeklärter Ursache hat laut einer deutschen Studie 2008 bis 2013 um 56% zugenommen. In Österreich liegt die Situation ähnlich, wie Prof. Saam betont. Allein im Jänner und Februar 2014 sind 75 Menschen tödlich verunglückt, deutlich mehr als im Vorjahr, wobei es nur 51 waren. Natürlich haben dabei auch andere Faktoren wie das schöne Wetter, das zu risikoreicherem Fahren hinreißen lässt, mitgespielt. Gesamt hatten wir in Österreich 2013 trotz aller Probleme die niedrigste Todesfallsrate auf Österreichs Straßen trotz zunehmender Verkehrsdichte. Langfristig gesehen sind die Verkehrstoten ebenfalls deutlich zurückgegangen – 1993 lag die Zahl bei 1283, 2003 hatten wir 460 Verkehrstote, 2013 sind es 453. Die jetzigen Beobachtungen deuten jedoch darauf hin, dass dieser Trend umkippen könnte. Leider bewegt sich die Zahl der getöteten Kinder entgegen dem Trend um etwa 10 Tote pro Jahr.

Die steigenden Unfallzahlen liegen weitgehend in einem deutlich geänderten Sozialverhalten, wobei Stress und Zeitdruck im Vordergrund stehen. Bei den aktuellen 2014 waren als Unfallursache 20 % Ablenkung festgestellt worden, wobei die Dunkelziffer noch deutlich höher liegen dürfte, erläutert Prof. Saam.

Ablenkung passiert auf vielfältige Art und Weise. Besonders „IN“ ist die Multitasking-Fähigkeit, bei der die Lenker der Ansicht sind, verschiedenste Tätigkeiten währen des Autofahrens gleichzeitig ausführen zu können, ohne dass ein negativer Effekt auf ihre Fahrsicherheit bewirkt wird.

Dozent Wolfgang Staffen, Neurologe, beweist in seinen Ausführung, dass dies nicht der Fall ist.

Als „Hardware“ dieser Fehleinschätzung steht das Handy im Vordergrund. Nicht nur Telefonieren während der Fahrt, sondern auch SMS-Schreiben, Mails Lesen und Verschicken sind oft an der Tagesordnung, wie Prof. Saam betont. Das Fatale daran ist, dass die Blindflugstrecken bei den zuletzt angeführten Handlungen dabei erheblich länger sind als beim Telefonieren selbst.

Leider sind auch Freisprecheinrichtungen nicht des Rätsels Lösung. Zwar gesetzlich erlaubt, sind in ihrer Auswirkung dennoch problematisch, da sie ebenfalls mental ablenken und oft die Ablesdaten am Fahrzeug nicht im Blickfeld liegen. Eine australische Studie zeigt auf, dass die Unfallzahlen sowohl mit Freisprecheinrichtung als auch ohne, nicht wesentlich differieren. Es wird deshalb vielerorts von Behörden und Organisationen die naive Forderung aufgestellt, dass Handy-Telefonieren während des Autofahrens überhaupt zu verbieten.

Verkehrsjurist Martin Hoffer ist der Ansicht, dass sich diese ‚Forderung in der Praxis sicher nicht durchsetzen lassen wird bzw. nicht lückenlos oder nur schwer zu kontrollieren ist. Auch die in der EU und besonders in Österreich vielfach geübte Strafgesetzgebung wird nach den Erfahrungen bis heute sicher keine Besserung bringen. Diese „Budget-Stopflöchergesetze“ werden aus leidvoller Erfahrung immer Zweckentfremdet und zu Staatseinnahmen verwendet und dienen wenig bis überhaupt gar nicht der Verkehrssicherheit, so auch Prof. Saam.

Die Lösungen sehen komplett anders aus. Prof. Saam legt einige interessante Lösungsvorschläge der Experten vor.

Vorrang ist technischen Maßnahmen zu geben und diese sollen rasch umgesetzt werden. Leider steht auch oft die Autoindustrie auf der Bremse, denn durch den hohen Konkurrenzdruck steht Kostensparen an vorderster Stelle. Dennoch hat bis dato die Automobilindustrie viel für die Verkehrssicherheit geleistet, wenn auch oft nur durch gesetzlichen Zwang. Man denke nur, wie lange es von der Erfindung des Airbags gedauert hat, bis auch der billigste Kleinwagen mit diesem System ausgerüstet wurde. Konkret wäre es mit elektronischen Maßnahmen im Fahrzeug relativ leicht, die Handy-Bedienung während der Fortbewegung des Fahrzeuges zu unterbinden. Mit Blickwinkel- und Augenkontrolle ist es derzeit schon festzustellen, ob ein Lenker übermüdet ist. Genauso könnte man feststellen, ob der Blickwinkel längere Zeit vom Fahrzeugumfeld abweicht und ein Alarmsignal auslösen.

Als weiteren Punkt erwähnt Prof. Saam die Fahrschulausbildung, die dringenderweise an die jetzige Situation angepasst werden müsste. Das Auswendiglernen eines Fragenkataloges und das Erkennen von mehr oder weniger sinnvollen Verkehrszeichen ist für die heutigen Fahranforderungen sicher zu wenig. Fahrtraining wird schon durchgeführt und ist zu befürworten, aber dem müsste ein mentales Verhaltenstraining und Gefahrenerkennungstraining anschließen, fordert Prof. Saam.

Natürlich ist das nicht das Ende der Fahnenstange, betont Prof. Saam. Wir müssen uns alle selbst besser koordinieren, ein sozialeres und entspannteres Verhalten an den Tag legen, wobei auch die sogenannten Experten nicht ausgenommen sind.

Essen und Trinken am Steuer, Streiten und Diskutieren mit dem Beifahrer(in) lenken extrem ab und selbst der konservativste Bürokrat wird wohl nicht daran denken, das Mitnehmen eines Beifahrers zu verbieten – das müssen wir wohl oder übel selbst lösen.

Wissen Sie, was wir während des Autofahrens alles anstellen? Sie werden es kaum glauben.

20 % der Frauen machen ihr Makeup (den Schminkspiegel auf der Fahrerseite wegzulassen, wird´s wohl auch nicht bringen)
12 % der Frauen und 8 % der Männer ziehen sich während des Fahrens um
43 % der Männer trinken während des Autofahrens, 27 % essen, bei den Frauen 37 % (deutsche Studie).
Jeder Dritte telefoniert, jeder Vierte arbeitet mit SMS und wenn´s nicht lebensgefährlich wäre, wäre es sogar nett: 28 % der Frauen küssen während des Autofahrens, dies tun auch 15 % der Männer. Interessanterweise küssen die coolen Briten weniger, nur 9 % . Die feurigen Türken küssen zu 40 %, die Russen zu 37 %.

Wenn wir alle diese Dinge während des Autofahrens weiterhin tun, können wir nicht erwarten, dass wir sicher und gesund nach Hause kommen, wie wir uns das alle vorstellen, betont abschließend Prof. Saam.


Liste Vortragenden und Moderatoren:

GATSCHA, Michael, Dr.
Verkehrspsychologe, Geschäftsführer von Neurotraffic
Mail: michael.gatscha@neurotraffic.com

GERM, Martin, Generalmajor
Bundesministerium für Inneres, Verkehrsplanung
Mail: martin.germ@bmi.gv.at

Heilig, Peter, Univ.Prof. Dr.
Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie, Univ. Wien
Mail: peter.heilig@univie.ac.at

HOFFER, Martin, Mag.
Leiter d. ÖAMTC-Rechtsdienste
Mail: martin.hoffer@oeamtc.at

KUNZE, Michael, Em. Univ.Prof. Dr.
Facharzt für Sozialmedizin, Institut für Sozialmedizin, Univ. Wien
Mail: michael.kunze@meduniwien.ac.at

MARCINEK, Marie-Sophie, DI
EBE Solutions GmbH, Bereiche Verkehrstelematik und Mobilität
Mail: m.marcinek@ebe-solutions.at

MIORINI, Hanno, DI, MBA
Verkaufsleiter Kraftfahrzeugtechnik Robert Bosch AG
Mail: hanno.miorini@at.bosch.com

STAFFEN, Wolfgang, Univ.Doz. Dr.
Facharzt für Neurologie, Salzburg
Mail: w.staffen@salk.at

Moderation und Begrüßung:

DORNER, Walter, MR Dr.
Altpräsident der Österr. Ärztekammer, der ÄK Wien und
Präsident der ÄKVÖ

HERTZ, Harald, Prim. Univ.Prof. Dr.
FA für Unfallchirurgie u. Ärztlicher Leiter AUVA-Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler
Vizepräsident des ÖAMTC, Wien

Saam, Raimund, Prof. MR Dr.
Arzt f. Allgemeinmedizin, Vizepräs. der ÄKVÖ, Wien

Wiesinger, Bernhard, MMag. MBA, MPA (Harvard)
Leiter Konsumentenschutz, Mitgliederinteressen und Kommunikation, ÖAMTC, Wien


Zurück

Gallerie

Zurück